Vor die eignen Füße dicht,
ja, da sah der Bursche nicht.
Heinrich Hoffmann, Der Struwwelpeter
Um die Aufmerksamkeit, Malebranche nannte sie „das Gebet der Seele“, ist es nicht gut bestellt. Doch keiner ist dispensiert vom Anspruch auf ihre Funktionstüchtigkeit. Wer diesem nicht oder nicht in vollem Umfang nachkommt, ist im Nachteil. Etwas nicht ins Kalkül ziehen, etwas nicht behalten, etwas außer Acht lassen: eine solche Defizitärleistung, ein solches Versehen oder solcher Fauxpas belegt die technisch präformierte Sprache dieser Zeit mit den Worten 'etwas nicht auf dem Schirm haben'. Phrasen dieses Kalibers sind für die Sprache, was Zahnbelag für den Zahn oder Schimmelbefall für die Wand.
Subjekte sind Fluglotsen ohne Streikrecht; verabsäumen sie eine genaue Berechnung der Flugbahn einer ihrer Handlungen, Äußerungen oder Gedanken, schliddern sie leicht ins Unheil oder bilden seine Asymptote. Also gelangte die Aufmerksamkeit in die Reichweite der Ökonomie. Der gilt sie als Konglomerat wartungsfähiger Radare. Die bildgebende Phantasie der Gegenwart besorgte die alltagstaugliche Metaphernresteverwertung zwecks Gemeinverständlichkeit ohne Subordinationshemmung.
Das ordinäre Alltagsdenken huldigt dem fait accompli und versichert sich auf diese Weise mit anderen der einzigartigen Rechtmäßigkeit seiner Weltaneignung. Wer noch Konzepten vom barocken speculum mundi oder idealistischen Transcendentalsubjekt anhängt, hat einfach keinen Schirm, der Schutz oder auch nur halbe Ausrede böte.
Dieses Jahr erschien von Ralf Frodermann Im Rücklicht der Gegenwart (Inventionen I), Berlin, 2012.
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