Ausgabe #1 vom

"Was für Eltern muss man haben..."

Der Hass auf den FC Bayern München, von den Nazis als "Judenklub" bezeichnet, trägt immer noch antisemitische Züge
ALEX FEUERHERDT

Ist ausgerechnet Oliver Kahn - Torwart nicht nur des FC Bayern München, sondern auch der deutschen Nationalmannschaft - am Ende gar ein vaterlandsloser Geselle? Vor dem alles entscheidenden Meisterschaftsspiel seines Vereins in Hamburg am letzten Spieltag der Saison 2000/01 gefragt, was er denn für eine Atmosphäre erwarte, antwortete er jedenfalls: "Bis auf die Bayern-Fans wird das ganze Stadion, wird ganz Deutschland gegen uns sein - was Schöneres gibt es doch gar nicht!" Recht hat er, und doch ist Kahn national unzuverlässiger Neigungen natürlich leider unverdächtig. Gleichwohl klingt in seinem Statement zumindest an, dass dem prominenten Keeper Scheußlichkeiten wie "Gemeinwohl" oder "nationales Interesse" bisweilen herzlich egal sind. Der FC Bayern - erfolgreichster deutscher Fußballklub und in dieser Hinsicht das Maß aller Dinge - verfolgt seine eigenen Absichten und Ziele, die er auch ganz offen und unverblümt benennt. Das stößt in einem Land, in dem man die Dinge lieber um ihrer selbst - und also um des großen Ganzen - willen tut und in dem interessengeleitetes Handeln - noch dazu für Geld! - unter Generalverdacht steht ("Amerikanisierung"), naturgemäß auf wenig Gegenliebe.
 
 Sicher, Bayern München ist hierzulande der Fußballverein mit den meisten Mitgliedern und Fans. Inwieweit seine Erfolge von seinen Anhängern gewissermaßen kompensatorisch herangezogen werden, um sich das eigene trostlose Leben dadurch ein bisschen zu versüßen, dass man sich selbst als Teil einer Truppe von Siegern fühlt, muss hier genauso unerörtert bleiben wie die Frage, ob Glanz & Glamour des Münchner Klubs nicht einfach bloß einen ähnlich projektiven Reiz ausüben wie Pop- und Filmstars oder das britische Königshaus. Vielmehr soll an dieser Stelle von denen die Rede sein, die den FC Bayern abgrundtief hassen und darin antiliberale, deutsche Ressentiments von der Leine lassen.
 
Bodenständig bleiben
 
 Geradezu prototypisch für diesen gesellschaftlichen Mainstream ist die Düsseldorfer Popgruppe Die Toten Hosen, die vor knapp fünf Jahren mit ihrem Anti-Bayern-Song Volkes Stimme in den Charts etablierte. Für Campino & Co. steht fest: "Es kann so viel passieren, es kann so viel geschehen, nur eins weiß ich hundertprozentig: Nie im Leben würde ich zu Bayern gehen." Sondern natürlich - so viel "Lokalpatridiotismus" (Karl Selent) muss sein - bodenständig bleiben, im heimeligen Düsseldorfer Kiez nämlich, und bei ekligem Altbier und fettiger Bratwurst mit den anderen Fußballvolksgenossen darüber lamentieren, dass es in dieser Sportart, zuvörderst bei den Bayern, ja nur noch ums Geld gehe, die Scheiß-Millionäre eh' alle viel zu viel Geld verdienten und nicht mehr ehrlich malochten wie noch zu Fritz Walters Zeiten. Deshalb wissen die "Hosen" genau, was sie denn täten, wenn sie "20 wären" und "supertalentiert": Gegen Angebote von Real Madrid und Manchester United hätten sie nichts einzuwenden, auch "für Deutschland" würden sie natürlich spielen. Doch wenn Bayern-Manager Uli Hoeneß "auf der Matte stehen" würde, wäre aber so was von Feierabend: "Ich würde meine Tür nicht öffnen, weil's für mich nicht in Frage kommt, sich bei so Leuten wie den Bayern seinen Charakter zu versauen."
 
 Denn dort pflegt man keine Proletenromantik, kein Blut-Schweiß-und-Tränen-Ideal und keine volksgemeinschaftliche, biergeschwängerte Vereinsheimidylle, wie es die meisten deutschen Fußballfreunde tun, die "ehrliche" Spieler und einen "sauberen" Sport sehen wollen, frei von Kommerzialisierung und anderem kapitalistischen Unbill. Man träumt - ganz romantizistisch und reaktionär, also deutsch - von den guten alten Zeiten, in denen die Kicker noch für lau unterwegs waren, in Nibelungentreue zu ihrem Verein standen und in der Region des Klubs Wurzeln geschlagen hatten.
 
Arbeiter- versus "Judenklub"
 
 Da gibt der FC Bayern in vielfacher Hinsicht natürlich ein ideales Feindbild ab. Bereits in den 1920er Jahren - als andernorts noch Turnvater Jahn angebetet und das Deutschtum gepflegt wurde - spielte der Klub häufig gegen internationale Mannschaften und verpflichtete internationale Trainer. Der langjährige Präsident Kurt Landauer, ein kosmopolitischer Jude, wurde 1939 von den Nazis ins KZ deportiert und floh anschließend ins Schweizer Exil. Dort besuchte ihn - gegen das ausdrückliche Verbot durch die Nazis - die komplette Mannschaft, die sich nach ihrer Rückkehr massiven Repressalien ausgesetzt sah. Landauer wurde nach 1945 übrigens wieder als Präsident eingesetzt, womit die Bayern quer zur allgemeinen Entwicklung in anderen Vereinen lagen, in denen die Vereinsführung oft genug aus Nationalsozialisten bestand, die nach dem Krieg rasch wieder in Amt und Würden kamen.
 
 Den Nazis galt der FC Bayern als "Judenklub", und es gelang ihnen erst 1942, den Klub zu "arisieren" und einen nationalsozialistischen Präsidenten zu installieren. Zuvor war Bayern München ein bürgerlicher Verein, metropolitan, liberal und mit einer beträchtlichen Zahl an jüdischen Mitgliedern. Etliche von ihnen bestimmten maßgeblich die Geschicke des Vereins, etwa der Gründer der Fachzeitschrift kicker, Walther Bensemann, Trainer Richard Dombi oder Jugendleiter Otto Beer. Nationalspieler "Ossi" Rohr ging 1933 als einer der ersten deutschen Kicker überhaupt als Profi nach Frankreich und wurde dort 1940 von den Nazis ins KZ deportiert, weil sie den bezahlten Fußball für eine jüdische Erfindung hielten. Der FC Bayern versuchte immer wieder, aus der miefigen, deutschen Enge auszubrechen, begriff sich als moderner, weltoffener Klub mit internationalen Ambitionen, dem das germanische Ideal des Amateurismus fremd war und der seinen Spielern die Möglichkeit geben wollte, mit dem Fußballspielen auch Geld verdienen zu können. Wie anders verlief dagegen beispielsweise die Geschichte des bis heute als Arbeiterklub abgekulteten FC Schalke 04, der des Führers Vorzeigeverein war, sechs seiner sieben deutschen Meisterschaften zwischen 1933 und 1945 gewann und seinerzeit auch einen beträchtlichen Teil der deutschen Nationalmannschaft stellte.
 
 Doch die Toten Hosen schert das genauso wenig wie das Gros der deutschen Fußballfans. "Ganz egal wie hart mein Schicksal wär', ich würde nie zum FC Bayern München gehen", trällert Campino, und der Mob grölt es mit. "Nicht das tatsächlich Negative, das abstrakte, das objektive Kapitalverhältnis ist Thema der Toten Hosen, nein, das Abstrakte wird konkretisiert und personalisiert im Lackstiefelclub FC Bayern München, um es sodann austreiben zu können", brachte es Karl Selent vor fünf Jahren in der Düsseldorfer Monatszeitung Terz auf den Punkt. Die "Hosen" hingegen sind noch lange nicht fertig: "Was für Eltern muss man haben, um so verdorben zu sein, einen Vertrag zu unterschreiben bei diesem Scheißverein?" Das müssen dann wohl die Feinde des Volkes sein - Juden, Amerikaner, Bonzen oder was auch immer -, bei deren Sprösslingen der Apfel nicht weit vom Stamm fällt - "von solchem proletenhaften Abstammungsdenken war es einst nur ein Katzensprung zum Rassenantisemitismus gegen den ‚Judenclub' FC Bayern München." (Selent)
 
 Als "Judenklub" werden die Bayern heute in der Regel nicht mehr beschimpft, aber die Ressentiments, die sich gegen sie entladen, sind dennoch von typisch antisemitischen Stereotypen durchsetzt. Man hasst den Klub, weil er erfolgreich ist und dieser Erfolg angeblich ausschließlich dem vielen Geld zu verdanken ist, das der Verein besitzt, zu dem er mühelos und ohne Arbeit gekommen zu sein scheint - vermutlich durch undurchschaubare Transaktionen und zwielichtige Geschäfte - und das sich wie von selbst zu vermehren scheint, während andere Klubs darben und ständig um ihre Existenz kämpfen müssen. Hier deutet sich die uralte antisemitische Aufspaltung in "schaffendes" (also deutsches) und "raffendes" (vulgo: jüdisches) Kapital mehr als nur an. Man wirft dem FC Bayern vor, gewissermaßen ein Kunstprodukt zu sein und seine Erfolgsteams bloß zusammengekauft zu haben, statt sie von Kindesbeinen an wachsen zu lassen.
 
"FC Hollywood"
 
 Auch wenn Ressentiments nicht durch das Benennen von Fakten aufklärbar sind, sei der Vollständigkeit wegen darauf hingewiesen, dass der Verein sich lediglich ein bisschen geschickter anstellt als seine Konkurrenten: Das große Olympiastadion etwa sorgte für höhere Einnahmen bei den Spielen, und das Management hatte ein feines Gespür für die Möglichkeiten finanzieller Akquise. Als erster deutscher Fußballklub dehnte der FC Bayern seine Werbung um Sympathien, Mitglieder und Fans auf das gesamte Bundesgebiet aus (was den Hass auf ihn noch steigerte - man hat schließlich seine Wurzeln zu bedenken und als Kölner zum FC zu halten und als Ruhrgebietsmensch zu Schalke oder Borussia Dortmund) und schuf sich durch ein geschicktes Merchandising weitere Einnahmequellen. Gleichzeitig verpflichteten die Bayern immer wieder auch internationale Stars, erhöhten so ihre Wettbewerbschancen und erweiterten damit wiederum auch ihren finanziellen Spielraum. Dessen ungeachtet - oder gerade deswegen - bewahren sie durch zuschauerträchtige Benefizspiele immer wieder so genannte Traditionsklubs vor dem sicheren Untergang - wie vor nicht allzu langer Zeit zum Beispiel ausgerechnet den linken Kultverein FC St. Pauli, der die kompletten Einnahmen aus einem Freundschaftskick gegen Bayern München zur Sanierung seiner maroden Finanzen verwenden konnte.
 
 Doch solche Fakten fechten die Bayern-Hasser natürlich nicht an. Vielmehr kommen auch (mit antisemitischen Stereotypen eng verbundene) antiamerikanische Ressentiments in der Ablehnung des internationalsten deutschen Fußballklubs immer wieder zur Geltung, sei es indirekt - wie etwa in dem Vorwurf, der FC Bayern sei im Fußball eine arrogante Großmacht, der ständig Absprachen und Regelungen verhindere oder sabotiere und nach eigenem Gutdünken verfahre -, sei es direkt wie durch die Bezeichnung "FC Hollywood", mit der die Glitzerwelt des Klubs, der Klatsch und Tratsch um ihn und ganz generell das gleißende Scheinwerferlicht, das beständig auf ihn gerichtet ist, als künstlich, pompös, bombastisch, inhaltsleer, oberflächlich und unseriös - amerikanisch eben - entlarvt werden sollen. Der FC Bayern ist gewissermaßen die USA der Fußball-Bundesliga, der man "Old Europe" in Form von Vereinen wie Werder BremenBorussia Dortmund oder Schalke 04 entgegenstellt, wenn man es nicht gleich aus Prinzip mit Underdogs à la SC FreiburgMainz 05 oder dem FC St. Pauli hält, die vermeintlich ganz anders funktionieren, bei denen Fußball noch gearbeitet werde, die Fans in Treue fest mit ihrem Klub verbunden seien und in dem es familiärer, dörflicher und intimer zugehe als bei den großen Bayern: Hier das kleine, ungemütliche und baufällige Stadion, dort die prachtvolle und komfortable Allianz-Arena, die der Volksmund bereits "Arroganz-Arena" nennt. Hier die gewachsene und überschaubare Familie der aufrechten Anhänger, die bei Wind und Wetter kommen, mit ihrem Team durch Dick und Dünn gehen und Leiden für einen Wert an sich halten, dort die gesichtslose Schar erfolgsverwöhnter Opportunisten, die keine Fans sein können, weil ihr Verein ja ständig alles gewinnt, und die gar nicht wissen, wie es ist, wenn man ständig auf die Mütze bekommt. Hier die kuschelige Scholle, dort die kalte, fremde Großstadt; hier die deutschen Werte, dort die amerikanischen; hier die Opfer, dort die Täter.
 
Das Nationale als Anachronismus
 
 Der heutige FC Bayern München - das heißt seine Spieler, Trainer, Funktionäre und die Fans - nimmt zwar keinerlei Bezug mehr auf die Geschichte des Klubs vor 1945; dennoch sind manche Äußerungen und Stellungnahmen durchaus sympathischer als die aus anderen Vereinen. Manager Uli Hoeneß etwa kann - obschon bekennender CSU-Wähler und Gewerkschaftsfeind - zumindest mit dem klassischen Deutschnationalismus gar nichts anfangen und hat mehrfach betont, dass die Sympathien der Anhänger für einen Spieler nicht von dessen Staatsangehörigkeit abhängen dürften. Die Beschränkung der Zahl nichtdeutscher Spieler in deutschen Vereinen lehnt er ab. Nationalmannschaften hält er schon mal für einen Anachronismus, weshalb man über ihre Abschaffung nachdenken müsse, da den Fans ihr Lieblingsverein näher sei.
 
 Nicht unsympathisch war, nebenbei bemerkt, auch der Auftritt des FC Bayern bei seinem letztjährigen Champions League-Gastspiel am jüdischen Neujahrstag in Tel Aviv gegen Maccabi. Der Bayern-Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge etwa äußerte sich in einem Interview geradezu begeistert über Israel und verurteilte den palästinensischen Terror scharf. Auch die Mannschaft zeigte so etwas wie politisches Bewusstsein: Normalerweise trägt das Team bei internationalen Begegnungen schwarze Trikots, Hosen und Stutzen. In Tel Aviv lief es jedoch ganz in roter Kleidung auf. Bemerkenswerte Begründung: Die schwarze Kluft könne in Israel Assoziationen zur Uniform der SS hervorrufen. Und das gelte es unbedingt zu vermeiden. Ob andere Klubs auch von sich aus einen solchen Schritt unternommen hätten, darf bezweifelt werden. 
 
 
Tipps zum Weiterlesen:
 
 Dietrich Schulze-Marmeling, Die Bayern. Die Geschichte des deutschen Rekordmeisters, Göttingen 2003, Verlag Die Werkstatt.
 
 Ders. (Hg.), Davidstern und Lederball. Die Geschichte der Juden im deutschen und internationalen Fußball, Göttingen 2003, Verlag Die Werkstatt.

 

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