Es folgt nun der dritte und letzte Teil von Manfred Dahlmanns Überlegungen. Die beiden vorherigen Teile sind in prodomo #15 und #16 nachzulesen. Hingewiesen sei an dieser Stelle auch auf das Buch Freiheit und Souveränität Dahlmanns im ça ira-Verlag, das demnächst erscheinen soll. Es wird auf dem vorliegenden Text basieren, aber verschiedene Aspekte sehr viel ausführlicher beleuchten als das im Rahmen einer Zeitschrift möglich ist.
Die Redaktion
V. Kritik der Denkformen. Form und Identität
Es sei nun der Versuch unternommen, die Resultate der vorangegangenen Überlegungen zu reformulieren, um einen Kritikbegriff zu begründen, der dem, was bei Sartre und bei Marx wie bei Adorno als geltend anerkannt wurde, gerecht wird, und dies als im Innersten Identisches zu begreifen vermag. – Wahrheit ist halt nur als einfache zu haben.
Dem gemäß wäre statt wie Sartre von Situationen, und vor allem: anstelle des Für-sich-Werdens des dem Nichts abgewonnenen An sich, von Denkformen auszugehen. Das heißt: Das je einzelne Individuum, das von Natur aus das andere Individuum (wie seinen Leib und die Natur insgesamt) als Objekt zu behandeln genötigt ist, erfasst seine Welt in historisch je spezifischen Formen, die, wie Marx für die kapitalistische Gesellschaft zeigt, als solche eine innere (von Sartre nicht erfasste) Logik besitzen, die bis zu einer von der in ihnen erfassten Sache gebotenen Grenze durchaus auseinander ableitbar sind. Als Subjekt, was heißt: als dieses von aller Welt getrennte Individuum, sieht es sich genötigt – um, im Kern: seine Angst zu bewältigen, isoliert in der Welt zu sein –, seine Inhalte, das heißt seine Bedürfnisse, Objektbesetzungen, Leidenschaften, Zwecke in möglichst genau die Formen zu gießen, 1 die ihm die Gesellschaft bereit stellt, in solche also, die es zwar in sich, und nur dort, vorfindet, deren Genesis aber nicht ihm, sondern der ihm äußeren Welt – Naturdingen analog, aber in Wirklichkeit einer zweiten, geistigen ‚Natur’ entstammend – geschuldet ist.
Als so etwas wie eine ‚Urform’, als ‚Form aller Formen’ – also nicht spezifisch auf das Kapital bezogen, sondern auf die Menschen im Allgemeinen – kann das in der letzten Ausgabe zum Verhältnis von Differenz und Einheit Ausgeführte begriffen werden. Die rein formal bestimmte Fähigkeit zur (Selbst) Reflexion macht den Menschen zum Menschen – kein Inhalt, keine Natur, kurz: keine Ontologie. Begreifbar ist seine innere wie äußere Welt dem Menschen nur, insofern sie sich den Formen einpassen lässt, die ihm diese Reflexion zur Verfügung zu stellen vermag.
Das historisch wohl augenfälligste Beispiel für eine der möglichen Ausgestaltungen dieser Formbestimmtheit ist die innere Bezogenheit von Scham und Recht: Sie sind, Sartre würde sagen: als Verdopplung – die Scham erfasst die innere, das Recht die äußere Welt – eines in jedem Einzelnen Identischen zu begreifen; sie bilden zusammen genommen eine Totalisierung aus, die allerdings, gegen Sartre, nicht im Hinblick auf die menschliche Existenz, also ontologisch, sondern bezogen auf die in der Reflexion angelegte Form – als eine ihrer Möglichkeiten, das Identische zu denken –, also transzendentallogisch zu begreifen wäre. So sehr diese Einheit in der Form der (inhaltlichen) Differenz von Scham und Recht, trotz ihrer Beziehungslosigkeit auf der Oberfläche, bei näherer Überlegung auch heute noch jedermann nachvollziehbar ist, für die Bestimmung dessen, was das Kapital ist, kann auf dieses Beispiel, so sehr es auch Sartres Philosophie schon infrage zu stellen vermag, nicht direkt zurückgegriffen werden, denn in unserer Gesellschaft differenziert sich die Einheit der Reflexion – zwar nicht vom formalen Prinzip her, aber historisch von Grund auf – noch einmal anders aus.
Schon unser Verständnis von Scham als subjektiv, vom Recht hingegen als objektiv verweist auf die historische Besonderheit spezifisch kapitalistischer Ausgestaltung der verschiedenen Möglichkeiten, in denen Reflexion Wirklichkeit ‚formiert’. Frühere Reflexionen auf dieses Verhältnis von Getrenntem wie dem, was wir heute unter subjektiv und objektiv begreifen, seien sie philosophisch oder theologisch, konnten nicht umhin, dessen Einheit in einer göttlichen Substanz anzusiedeln. Heute wissen wir, dass das dem (einzelnen) Menschen Äußere – die Welt selbst, oder etwa das Recht – kein Akzidenz göttlicher Substantialität ist; als substantiell gedacht werden kann Natur nur, insofern sie sich in Formen erfassen lässt. Von hier aus können wir, wie Sartre, zeigen, dass der Mensch generell, wenn er an Gott, Substanz, Natur usw. denkt, in Wahrheit eine ‚Verschiebung’ vornimmt (eine „Unaufrichtigkeit“ begeht): er verschiebt die Einheit in sich in ein Allgemeines: in eine Einheit von Dingen an sich, deren Substantialität positiv, auch und gerade in der Natur, nicht erkannt werden kann, sondern nur negativ, im Sinne ‚negativer Ontologie’. 2
Diese ‚Verschiebung’ innerhalb der subjektiv-allgemeinen (Denk-) Formen in die objektive Form ist, wie die Genesis des Kapitals beweist, in zweierlei Weise möglich, Weisen, die für sich betrachtet, auch den nicht evolutionär herzuleitenden Übergang von vorkapitalistischer, autoritativer, weitestgehend unvermittelter Vergemeinschaftung in kapitalistische, wertvermittelte Vergesellschaftung markieren: erstens in einer ontologischen, das heißt auch substantiell festgelegten Weise, die, wie in jedem Gottesbegriff, die Differenz von Inhalt und Form – wie auch jede andere Differenz 3 – in sich aufhebt, um sie von hier aus für den Menschen zu ‚gestalten’, und die es dem Subjekt erlaubt, sich selbst – im Ganzen – als Moment dieser ihm äußeren Einheit aller Differenzen zu begreifen und so von der Verantwortlichkeit für seine Freiheit zu entlasten verspricht und zweitens die transzendentallogische Weise, die jeden Inhalt, jede Bedeutung, jede libidinöse Bindung an die dem Subjekt äußere Realität ihm überlässt, ihm aber darin die Form vorgibt, in die es seine Inhalte zu übersetzen hat. Die sich daraus erneut entwickelnde Ontologie, die Existentialontologie, hat mit der vorneuzeitlichen Ontologie gemeinsam, dass sie die jeder Reflexion zugrunde liegende, Differenzierung erst ermöglichende Negation im (menschlichen) Subjekt ebenfalls negiert, aber im Gegensatz zu ihr darauf verzichtet, diese Einheit substantiell zu fassen. 4 Das moderne Subjekt ist jedoch, gleichgültig wie es sich selbst begreift, solange kapitalistische Vergesellschaftung existiert, so lange es also seine Inhalte in die vorgegebene Wertform einpasst, in Bezug auf diese Inhalte gesehen – im Gegensatz zum ontologisch verstandenen Subjekt als einem Unterworfenen, dem absoluten Gehorsam Verpflichteten – tatsächlich frei; auch in einem den Sartreschen Begriff von Freiheit überschreitenden Sinne: real, objektiv frei, in dieser Freiheit aber der sie ermöglichenden Form (Staat und Recht vor allem) unterworfen.
Für diese Freiheit konstitutiv ist es – denn sonst wäre es keine –, dass die Negation, welcher Inhalte auch immer, selbst zum Gehalt der Form wird, in der sich alle Inhalte ausdrücken müssen. 5 Dies entgeht Sartre. Ihm entgeht deshalb, dass etwa das Recht wie der Staat, das Geld – und das Kapital überhaupt –, nichts anderes sind als empirisch – also wie Inhalte, Dinge an sich – erscheinende ‚Formen’, Verdinglichungen sind, 6 die, der wissenschaftlichen Denkform (zumindest) homolog, eine Objektivität konstituieren, in die das Subjekt (wie früher in die Existenz Gottes) sich einschreibt (per ‚Verschiebung’, wie oben dargestellt), indem es an sich eine Subjektivität konstruiert, die in dieser Objektivität aufzugehen vermag – aus demselben Grundmotiv wie alle Menschen zuvor derartige ‚Verschiebungen’ von innen nach außen vorgenommen haben: der Angst vor der existentiellen Erkenntnis, in Wahrheit in Allem: also in Formgebung wie im Ausleben von Inhalten, allein auf sich selbst gestellt zu sein.
Eine der wichtigsten Aufgaben ist es, die Prozesse nachzuzeichnen, die zu – logisch vom Subjekt autonomen – Formierungen, also zu Geld, Staat, Recht usw. führen. Von hier aus wäre zum Beispiel die totale Verantwortung, von der bei Sartre allein die Rede sein kann, daraufhin zu differenzieren, inwiefern sie gesellschaftlich von Relevanz ist. Zum Gegenstand der Kritik wird dann die Form, in der die bürgerliche Gesellschaft Schuldzuweisungen verteilt und Verhalten sanktioniert. Dies aber – und das ist der alles entscheidende Schritt – benötigt, wie alles, was bisher zum Unterschied von subjektiver und ‚objektiver’ Gedankenform ausgeführt worden ist, um erkenntnistheoretisch in der Bedingung seiner Möglichkeit ausgewiesen werden zu können, den Rückgriff auf die von Sohn-Rethel herausgearbeitete Identität von Warenform und Denkform – eine Identität, die sich im Vollzug des Äquivalententausches spontan generiert 7 –, auch wenn es Sohn-Rethel nicht gelungen ist, seine Erkenntnis in den ihr entsprechenden historischen Kontext zu stellen. Das heißt: Obwohl zweifellos von und in Subjekten im Verfahren der Denkabstraktion in Existenz gesetzt, vollzieht sich die Genesis dieser Form, ihrer Bedingung der Möglichkeit nach, dennoch in einem abstrakten, den an diesem Vorgang beteiligten empirischen Subjekten (den Tauschenden) und Objekten (den Waren) äußerlichen Raum – und dies tagtäglich neu, also immer genau in dem Augenblick, wenn Waren ihre Besitzer wechseln. Anders ausgedrückt: Obwohl im Denken generiert (woanders können Formen nicht existieren), kann die im Tausch sich generierende, differenzlos gedachte Identität (als Form aller Formen, als ausdehnungsloser Punkt, als im Unendlichen zeitlos erfasste Gegenwärtigkeit) im Kapitalismus den in sich formallogisch unmöglichen, rational nicht nachvollziehbaren Charakter eines automatischen Subjektes annehmen, das allen wirklichen (menschlich-individuellen) Subjekten die Form aller Formen vorgibt, in der allein sie existieren, ihr Leben reproduzieren können. Der Satz der Identität – obwohl in seiner Absolutheit falsch und als solche Identität (ohne Nichtidentisches, ohne Differenz, ohne Negation) unmöglich zu denken – wird dessen ungeachtet zum Prinzip der gesellschaftlichen Reproduktion in Wissenschaft und Technologie, in Ökonomie und Politik, im Alltag der Individuen, in ihrem Seelenhaushalt und ihrer Triebökonomie 8 – und vor allem: in ihrer Moral.
Moral und gesellschaftliche Synthesis
Neben seiner ungeheuren, in Waren vergegenständlichten (‚Reichtums’) Produktion ist es wesentlich für das automatische Subjekt, im Jenseits von Gut und Böse, jenseits jeder Moral, sein Unwesen zu treiben. Moral ist für Sartre, vor allem in Das Sein und das Nichts, dagegen der zentrale Schlüssel, den Raum zu eröffnen, um von der menschlichen Existenz ausgehend in die Situationsanalyse eintreten zu können. Auch in dieser Hinsicht ist er zunächst nicht zu widerlegen. Im Gegenteil: So wie der Mensch unhintergehbar frei ist, so ist er moralisch. Auf das Individuum allein bezogen, auf es als Subjekt, aber gilt: Moral dient ihm seit je als Begriff, dank dem es sich selbst als denjenigen begreifen kann, der immer nur in bester Absicht handelt. Es gab noch nie einen Menschen, auch wenn er die schlimmsten Verbrechen begangen haben mag, der für sich selbst in Anspruch genommen hätte, das Böse gewollt zu haben. 9 Im Begriff der Moral ist unhintergehbar angelegt, als Subjekt nur für das Gute, nie für das Böse sein zu können – da aber gerade die Moral ohne Negation nicht auskommen kann, darum kann sie das Böse nur im Außen, im Anderen, verorten. Und wenn das Subjekt es in diesem Außen nicht findet, dann muss es das Böse konstruieren – nur so kann es sich weiterhin als moralisches, als gutes Wesen begreifen. Egal was passiert ist oder passieren wird: Jeder hat immer nur das Beste gewollt und sein Bestes gegeben. Oder anders: Die Moral dient ursprünglich allein dazu, sich selbst zu bestätigen, seiner Verantwortung für die richtige Ausübung seiner Freiheit gerecht geworden zu sein.
Sieht man von dieser, sich im Gutmenschentum (oder, weniger polemisch: in den protestantischen, deontischen oder normativen Ethiken) einen modernen Ausdruck verschaffenden Funktion der Moral, sich unabhängig von jeder äußeren Wirklichkeit immer ein gutes Gewissen verschaffen zu können, ab, dann hat Sartres ausschließliche Bindung der Moral an das individuelle Subjekt mit dem Moralbegriff Adornos den Grundgehalt durchaus gemeinsam: Ihr Moralbegriff entbindet nicht von der Verantwortung, sondern betont sie – gerade im Scheitern. Der Unterschied zwischen ihnen besteht in der Relevanz, die diese unauflösliche Bindung der Moral an das Subjekt für die Beurteilung der ‚Moralität’ der Außenwelt hat. Für Adorno ist die Sache eindeutig: Allerspätestens seit Auschwitz kann über die existierende Gesellschaft nur ein einziges Urteil gefällt werden: Sie gehört abgeschafft und ist durch eine freie Assoziation zu ersetzen. Auch über Teilbereiche dieser Gesellschaft kann in moralischer Hinsicht ein anderes als dieses Existentialurteil seitdem nicht mehr formuliert werden. Bei Sartre stellt sich das anders dar: Das Subjekt transformiert seine Moral in Werte, die es frei wählen kann, und um deren Durchsetzung in der Realität geht es, sobald es sich in Situationen befindet. 10 Oder anders, wie schon festgestellt: Moralität übersetzt sich für Sartre in nichts anderes als in die subjektive Dimension des Werts, in Gebrauchswert. Damit aber ist es um die kritische Dimension seines Moralbegriffes geschehen.
Um die objektive Bedeutung der Moral für die aktuelle gesellschaftliche Reproduktion erfassen zu können, reichen allerdings beide Bestimmungen, weder die Sartres noch die Adornos, in einer Hinsicht nicht hin: Sie sind von beiden positiv gefasst. Beide übersehen damit, dass zwar um nichts heftiger ständig von den Subjekten gestritten wird als um die ‚richtige’ Moral, tatsächlich funktioniert das Kapital aber, wie eingangs festgestellt, von Grund auf im Jenseits (also nicht nur: jenseits) von Gut und Böse. Erklärt werden kann dieses offensichtliche Auseinanderfallen von Denken und Wirklichkeit nur, wenn man die Rolle der Ethik in die Formanalyse des Kapitals miteinbezieht, zumal sich von hier aus weitere Klarheit bezüglich dessen Funktionsweise gewinnen lässt.
Keine der Thesen Max Webers zum Begriff von Gesellschaft ist wohl von Grund auf verkehrter als sein berühmtes Diktum von der protestantischen Ethik als einer der zentralen Ursachen für die Entstehung des Kapitalismus. Denn in Wirklichkeit gestaltete sich das Verhältnis dieser Ethik zum Kapital genau umgekehrt: Im Protestantismus schuf das Kapital sich die Ethik, die seiner weiteren Evolution keine Steine mehr in den Weg legte. Kaum jemand hat sich bisher ernsthaft vor Augen gehalten, dass das Kapital eine Form gesellschaftlicher Reproduktion darstellt, die von keinem je so gewollt worden ist. Alle Kämpfe, aus denen das Kapital dann schließlich hervorgegangen ist, fanden um Inhalte statt: Sie wurden moralisch legitimiert. Aber: So wie dieses Kapital sich aktuell reproduziert, „hinter dem Rücken der Produzenten“, so ist es erst recht auch entstanden. Da es nichts anderes ist als vergegenständlichte Form, ist es darauf angewiesen, dass es von den Subjekten libidinös besetzt wird – und das gelingt umso besser, je erbitterter um etwas (was immer das auch sei) gestritten und gekämpft wird. Alle Ethik hat seit der Zeit vor den Reformationskriegen (spätestens mit dem Abfall der anglikanischen Kirche von Rom) dementsprechend zu nichts anderem geführt als diese Besetzung zu organisieren, das heißt die Subjekte einzuordnen in das neu entstehende System von Freiheit, Gleichheit, Bentham.
Besonders letzteres, von den Franzosen als fraternité idealisiert, sorgt in der Form idealer Konkurrenzverhältnisse dafür, dass die Warenzirkulation auf der Basis möglichst reinen Äquivalententauschs stattfindet. Die Sozialdemokraten aller Länder, besonders deren stalinistische Fraktionen, trauen dem aber nicht: Sie verlangen, vermittelt durch den Staat, ‚wirkliche’ Gerechtigkeit 11 und basteln sich auf der Basis dieser Forderung ihre Ethiken – die sie Parteiprogramm nennen – zurecht. Dass ihre Politik damit die Form tendenziell zerstört, von der sie aber existentiell immer abhängig bleibt, das ist das eine; das andere ist, bestenfalls, die noch nahtlosere Einpassung der Subjekte in die vorgegebenen Formen. Zutiefst realitätsblind ist jedenfalls die durch nichts zu begründende Vorstellung, ohne eine Ethik könne die kapitalistische Gesellschaft nicht funktionieren, oder, was dasselbe ist, ohne sie und den Glauben an irgendeine (ontologische oder transzendentale) Begründung von richtigem Verhalten fiele der innere Zusammenhalt der Gesellschaft zusammen.
Der Kapitalismus beweist tagtäglich neu das Gegenteil. Je weniger Ethik 12, umso besser die allgemeine Moral 13 und umso besser funktioniert das Kapital – und desto besser auch ergeht es seinen Bürgern – solange es nicht zu Krisen kommt. Im Gegensatz zu allen anderen historischen Versuchen, Individuen zu einer Einheit zu synthetisieren, vereinheitlicht sich das Kapital, ohne seine Subjekte zu seiner Synthesis per Gebotstafeln zu zwingen – sie müssen nichts anderes tun, als ihre Lustbefriedigung auf die Waren und Verhältnisse hin auszurichten, die es zur Verfügung stellt. 14
Ganz anders verhielt es sich mit dieser Beziehung der individuellen Lustbefriedigung zu den offiziell erlaubten Formen zum Beispiel in der griechisch-römischen Antike. Der jeweilige äußere Zusammenhalt der politischen Einheit war militärisch hergestellt worden, er musste nachträglich durch eine innere, in den Individuen selbst angelegte Vereinheitlichung ergänzt werden, wenn er Stabilität und Dauer gewinnen wollte. Die philosophisch begründeten Tugendlehren sollten in den hellenistischen Stadtstaaten und im Römischen Reich eine Alternative zu religiös inspirierten Vereinheitlichungen bereit stellen, eine Synthesis, die der säkular begründeten politisch-militärischen entsprach. Das ging auch ein paar Jahrhunderte einigermaßen ‚gut’ und bildet bis heute die Argumentationsvorlage (nahezu) aller Historiker, Politologen und Ethiker, denen der entscheidende Unterschied zwischen antiker imperialistischer Politik und kapitaler politischer Ökonomie verborgen geblieben ist. Dem Römischen Reich bereitete der Augustinische Gottesstaat aber dann doch ein Ende. Die katholische Moralität erwies sich gegenüber den Tugendlehren als mächtiger, konnte sie in sich aufnehmen, musste dann aber, ein knappes Jahrtausend später, der kapitalistischen Synthesis und ihrer protestantischen A-post-Ethik weitgehend das Feld überlassen. Das Kapital jedenfalls, das macht seinen entscheidenden Unterschied (und seine Überlegenheit) bezüglich jeder ontologischen, bewusst politisch herzustellenden Synthesis aus, kann den Aufwand, Herrschaft sowohl militärisch als auch ethisch absichern zu müssen, darauf beschränken, die Form aufrecht zu erhalten, in der Geld sich wie durch Zauberhand in mehr Geld verwandelt. Das vernünftige moralische Urteil bleibt seitdem bestenfalls das Residuum des Einzelnen, der sich seine Reflexionsfähigkeit, seine Freiheit – um damit wieder auf eine Gemeinsamkeit zwischen Sartre und Adorno zu verweisen – trotzdem bewahrt hat. 15
Freiheit und Autonomie
Will man einen Begriff angeben, der die Differenz zwischen Sartres Existenzphilosophie und der Kritischen Theorie auf den Punkt bringt, dürfte er im unterschiedlichen Verständnis von Autonomie zu finden sein. Was Sartre darunter versteht, spielt dabei eine untergeordnete Rolle: Er kann jedenfalls unmöglich akzeptieren, dass dem Kapital, der Gesellschaft, dem Staat, dem Recht usw., und hier vor allem: der Ästhetik, eine Eigenständigkeit zugesprochen wird in dem Sinne, wie dies in der Kritischen Theorie geschieht. Polemisch, aus Sartres Sicht: Mit dem Begriff von Autonomie wird einer Verallgemeinerung Existenz zugesprochen, die aber nur dem Menschen zukommen kann; ihr wird damit die Existenz einer Freiheit unterstellt, die sich, unabhängig vom Menschen, selbst zu begründen vermag, was heißt, es wird die Existenz einer Freiheit behauptet, die sich außerhalb der Subjekte in einem Objekt selbst (also, und das ist entscheidend, nicht ‚nur’ objektiv) konstituiert.
Den Gipfel dieser, für Sartre: unmöglichen Zuschreibung markiert der kritisch-materialistische Begriff vom Souverän. 16 Sartre hat, wie immer wieder betont, zunächst vollkommen Recht. Wenn Adorno zum Beispiel in seinem Engagement-Aufsatz behauptet: „Mitgewoben wird [von Sartre] an dem Schleier der Personalisierung, dass verfügende Menschen entscheiden, nicht die anonyme Maschinerie, und dass auf den sozialen Kommandohöhen noch Leben sei; Becketts Krepierende erteilen darauf den Bescheid“, 17 dann würde Sartre entgegnen: wo und wann rede ich, wenn ich von Freiheit rede, eigentlich von diesen „Kommandohöhen“? Was heißt denn: eine „Maschinerie“ „entscheidet“? Und vor allem: Redet Beckett nicht in Wirklichkeit statt von irgendwelchen „Höhen“ von den letzten Restbeständen des Menschseins überhaupt, genau in meinem Sinne? Besonders in seinen Ausführungen zu Kafka, auf den er mehrfach zu sprechen kommt, 18 beweist Sartre, dass er durchaus einen Begriff von dieser „anonymen Maschinerie“ hat – nur Autonomie, Souveränität, also: die Freiheit, die einer Entscheidung immer vorausgeht, die kann er einer „Maschinerie“ nun einmal unmöglich zugestehen.
Den Menschen jedenfalls, die laut Adorno auf den „Kommandohöhen“ „anonymer Maschinerie“ agieren, oder auch nur als deren Rädchen, denen spricht Sartre ihr Menschsein rundheraus ab. Er geht mit ihnen, moralisch gesehen, noch rigoroser um als Adorno, wenn dieser von „lebendigen Leichnamen“ spricht. Nahezu jedes Theaterstück von Sartre gibt hier umfassend Auskunft. Menschen haben für Sartre ihr Menschsein verwirkt, wenn sie, wie vor allem der Antisemit – das gilt aber auch für all die anderen (etwa die auf diesen „Kommandohöhen“) – eine totale Wahl getroffen haben; bei ihnen handelt es sich um ein Stück Fleisch, das man abknallen oder weiter zucken lassen kann, je nachdem, wie die Situation es erfordert. Sie haben entschieden, Ding an sich zu sein, in der Objektwelt aufzugehen, haben sich somit dem Nichts (dem Sein zum Tode) geweiht, das ihm der, der Mensch geblieben ist, entweder gewährt (durch einen Kopfschuss) oder verweigert – indem er ihn, aus welchen Gründen auch immer, am Leben lässt.
Erkenntnistheoretisch geht es, was die Beurteilung der Moral Sartres hier betrifft, darum, dass er seine Grundbestimmung des Mensch-Seins, die Freiheit, logisch jeder Moral voraussetzen muss. Daraus folgt für ihn: Wer nicht frei sein will, will nicht Mensch sein. Wenn es aber, wie hier zu zeigen ist, neben dem Frei-Sein eine Bestimmung des Mensch-Seins gibt – eben die hier so genannte transzendentallogische (gesellschaftliche) Existenz –, die die ontologische Existenzbestimmung Sartres obsolet macht, dann fällt seine ‚Letztbegründung’ der Moral in sich zusammen. (Das ist ja, wie oft genug betont, das Merkwürdige: Obwohl er gar keine Moral hatte, galt er allseits als moralisch integrer Intellektueller.) Logisch gilt aber weiterhin: Ich kann Moral nicht aus sich selbst begründen, denn dann werde ich zum Moralisten. Ich benötige einen außerhalb ihrer selbst liegenden Bezug zur Begründung vernunftgemäßen Handelns, woraus letztlich folgt, dass man auf einen kategorischen Imperativ zurückgreifen muss, aber in anderer Formulierung und Zwecksetzung als bei Kant. So sehr das Bild Adornos von den ‚lebenden Leichnamen’ ebenfalls schief sein mag, es verweist untergründig darauf, so wie viele andere Ausführungen von ihm unmittelbar und explizit, dass dieser Imperativ an der Leiblichkeit der Individuen (also nicht an einem geistig-moralischen Fürsich, sondern an einem objektiven Ansich) auszurichten wäre.
Sartres Interesse als Philosoph, was die dem Subjekt äußeren Verhältnisse betrifft, gilt jedoch den Bedingungen einer Situation, wie sie etwa von einer derartigen Maschinerie gebildet wird, und deren Einwirkungen auf diejenigen, die, so rudimentär auch immer, bereit sind, ihre Freiheit (ihr Menschsein) mit dieser Situation zu konfrontieren, um sie hier (so aussichtslos das auch erscheinen mag) zu verwirklichen. Das ist die Grundlage seines Engagements auch als Romancier, Dramatiker, Journalist etc., also zusammengefasst, als Prosaist (Literat). Darin fasst er seine innere „Welt“ (und die, soweit existentiell verallgemeinerbar, aller anderen), darin konstituiert sich sein Begriff vom Subjekt (nicht: von Subjektivität), von dem aus alles andere in einen Status von Objektivität übergeht, dessen „Wert“ für das Subjekt sich in den sozialen (öffentlichen, politischen, künstlerischen) Auseinandersetzungen erst noch „progressiv“ herauszubilden hat. Adornos Kritik an Sartre, so weit sie nicht, wie bisher ausgeführt, ihren Gegenstand verfehlt, bezieht sich auf diesen Punkt: Für Adorno bilden sich die Inhalte und Formen dieser Auseinandersetzung eben nicht erst im Resultat der (vergangenen, gegenwärtigen, zukünftigen) Konfrontationen zwischen Subjekt und Objekt, sondern sie sind dem Verhältnis von Subjekt und Objekt, unter den gegebenen Bedingungen vollständiger Autonomie des Kapitals, immer schon vorgegeben. Unter den Bedingungen des Kapitals kann, so meint Adorno, und hier wäre ihm Recht zu geben – auch wenn nur der dargelegte Bezug auf Sohn-Rethel die angemessene Begründung für dieses Recht-Haben liefern kann –, diese Auseinandersetzung des Subjekts mit dieser ‚Maschinerie’ immer nur im Sinne des Kapitals ausgehen.
Das Besondere an Adornos Ästhetik besteht darin, dass in ihr Autonomie nicht im Sinne Flauberts – und, im Sinne Sartres: als zum Scheitern verurteiltes Konstruktionsprinzip absoluter Kunst zu begreifen ist, sondern dass im Ästhetischen sich dessen Autonomie aus der negativen Autonomie des Kapitals, aus dessen falscher Objektivation heraus, mindestens ebenso sehr bestimmt wie von den Bestimmungen aus, die das Subjekt in diese Begriffe hinein legt. Darum geht es: Wenn Adorno Recht hat, und es existiert tatsächlich so etwas wie eine Evolution ästhetischer oder sonstiger Formen, dann missachtet Sartre die von der Eigenständigkeit dieser Gebilde (Staat, Recht, Ästhetik usw.) gestaltete Realität.
Den deutlichsten Beleg für diese Verfehlung der Realität gewinnt man, wenn man das Absolute, das von Sartre vor allem in seinem Spätwerk als (verallgemeinerte) neurotische Wahl gefasst wird, 19 mit dem Ausdruck bezeichnet, der ihm, und das spätestens seit der Aufklärung, in Wirklichkeit gebührt: Souveränität (des Kapitals). Dieser Souverän verschwindet zu Zeiten kapitalistischer Normalität nahezu vollständig im Abstrakten, taucht bestenfalls in den Verfassungen als ‚Volkssouveränität’ entsubstantiiert auf, also nominal bleibend, oder in dem gesellschaftlich notwendigen Wahn von Politikern, die so tun müssen, als ob sie entscheiden, aber tatsächlich, für jeden überdeutlich, nur die Entscheidungen anderer zu verkaufen haben. Im Ausnahmezustand, in Krisen personifiziert sich diese Souveränität und seine Autonomie: Diese gipfelt darin, über Tod und Leben der Subjekte frei zu entscheiden. Sartre übersieht, dass jeder Bürger als Staatsbürger nicht nur Eigentümer seiner selbst ist, sondern in gleicher Weise auch Soldat und Vollstrecker einer ihm äußeren Freiheit, der des Souveräns, selbst wenn er zeitweise von dieser seiner Pflicht, für ihn sein Leben lassen zu müssen, glaubt, frei gestellt zu sein. Seine Unterworfenheit unter diese Souveränität existiert aber in gleicher Form wie seine Freiheit; also als, im Sartreschen Sinne, Existentialie, nicht ‚bloß’ als Transzendentalie oder Essentialie.
Ohne den oben durchgeführten Rückgriff auf die Differenz von subjektiven und objektiven (Gedanken-) Formen bliebe aber auch dieser Beleg, trotz aller Deutlichkeit, in bloßer Evidenz stecken. Adorno wäre aus seiner Beweispflicht für die Existenz einer Autonomie im Objekt nicht entlassen. Dazu muss gezeigt werden können, dass es etwa die „Evolution des Ästhetischen“ – als aktuelles Resultat sich entwickelnder Formen, in die ein Künstler sich zu fügen hat, um der Realität überhaupt gerecht werden zu können – tatsächlich gibt; alles hängt also davon ab, ob es gelingt, die Existenz einer Synthesis (des Kapitals) zu beweisen, in die alle Subjekt-Objekt Beziehungen sich einfügen müssen, und man die Realität verfehlt, wenn man, wie Sartre, die Existenz eines solchen Ortes grundsätzlich (aus welch ehrenhaften Gründen auch immer) bestreitet.
Wie gezeigt: Sartre bestreitet eine derartige Existenz. Allerdings postuliert er damit noch lange nicht, wie von Adorno im Engagement-Aufsatz 20 behauptet, eine „Identität zwischen den lebendigen Individuen und dem gesellschaftlichen Wesen“, ganz im Gegenteil: Subjekt und Situation gehen, was Sartre ständig betont, nie ineinander auf, die „progressiven Synthesen“, in denen er deren Verhältnis zu fassen sucht, sind zwar meist hervorragend begründet, behaupten aber nie, diese Identität wirklich herstellen zu können. Ganz anders als die Neue Marx-Lektüre: Ihr gerinnt ‚Gesellschaft’ zu einem rein analytischen (im Sartreschen Sinne: regressiven) Begriff, aus dem heraus sich alle innersubjektiven Vorgänge ‚letztlich’ erklären lassen müssen. Auf den Hinweis, damit die Subjekte von ihrer Verantwortlichkeit für ihr Handeln freizusprechen, ‚antworten’ sie im Sinne Ingo Elbes mit kaum noch überbietbarer Naivität, dass es sich dabei tatsächlich um ein Problem handele – das noch der weiteren Erforschung bedürfe.
Zum Begriff der Autonomie bleibt schließlich festzustellen, dass er eine politisch eindeutige Bewertung nicht gestattet; er kann aus der Dialektik der Aufklärung nicht herausgebrochen werden. So sehr sich jede Autonomie der Genesis des Kapitals verdankt und an es gebunden bleibt, so engagiert gilt es dennoch, den erreichten Stand an Autonomie (in der Ästhetik, im Staat, im Recht) gegen ihre regressive Auflösung in Unmittelbarkeit zu verteidigen – und dies gilt auch und gerade gegenüber dem Politiker Sartre, der umstandslos bereit ist, diese Autonomien den Gewalt-Phantasien irgendwelcher sozialer Bewegungen und Aufstände zu opfern. Wenn denn unter „befreiter Gesellschaft“ im Sinne Marcuses zu verstehen wäre, dass hier die (Sartresche) Freiheit der Subjekte auf eine gesellschaftliche Synthesis trifft, deren Autonomie diese Freiheit – im Gegensatz zur Autonomie des Kapitals – vor ihrem Umkippen in eine regressive Identität von Freiheit und Autonomie (was beider Tod bedeutet) bewahrt, dann könnte der Begriff ‚freie Gesellschaft’ akzeptiert werden. Oder anders, nun gegen Sartre gerichtet: Vernunft, wie immer bestimmt, muss autonom sein – sonst ist sie keine.
Existenz und Kapital
Auf Sartres Begriff von Existenz bezogen ergibt sich auch aus dem zur Moralität und den Autonomien dieser Gesellschaft Ausgeführten nichts anderes als: Die Allgemeinheit der menschlichen Existenz wäre von dieser, der kapitalistischen Form her, also transzendentallogisch (aus ‚bloßen’ Formen heraus) zu bestimmen, von wo aus sie dann, dem jeweiligen Gegenstand entsprechend, der Freiheit des Subjekts oder der falschen Autonomie des Objekts zuzuordnen wären, und nicht ontologisch vorzugeben (womit dem Subjekt Form und Inhalt in einem vorgegeben wird). Dies erfordert keinerlei Einschränkung in der Bestimmung des Menschen als unhintergehbar frei, als „zur Freiheit verurteilt“, und deshalb als für alles verantwortlich, was er denkt und tut. Nur ist seine Freiheit damit, zunächst einmal, auf einen Status heruntergebracht, der in etwa dem entspricht, dass der Mensch, von seiner ersten, aber in die zweite eingebundenen Natur aus, essen und trinken muss, um überleben zu können. Entscheidend wird somit, wie der Mensch unter dieser Bedingung des Primats der Form all seine Inhalte – so auch seinen Begriff von Moral, wie den von Zeit oder Kausalität – in diese objektive Form absoluter Identität gießt.
Was dies, die Bestimmtheit des Menschen von der Form her, bedeutet, kann nun bezogen auf das Problem erläutert werden, das sich oben mit dem Begriff der Verantwortlichkeit für die Negation von Freiheit bei Sartre stellte: Dort wurde festgestellt, dass, wenn sich diese Verantwortlichkeit nicht differenzieren lässt – und da sie so absolut ist wie die Freiheit, lässt sie sich bei Sartre weder qualitativ noch quantitativ auf verschiedene Subjekte unterschiedlich verteilen – dieser Begriff sinnlos wird. 21 Von dem hier entwickelten Begriff objektiver Form ausgehend kann jedoch angegeben werden, wie sich diese Verantwortlichkeit, im Rechtssystem etwa, gesellschaftlich in sowohl quantitativ als auch qualitativ ausdifferenzierte Schuldzuweisungen übersetzt. An der Verantwortlichkeit jedes Subjekts für alle Vorgänge in der Gesellschaft ändert dies nichts – aber insofern die Gesellschaft (als kapitalistische auf der Basis objektiver Form) ein System herausbildet, in dem die Schuldzuweisungen ausdifferenziert werden, bekommt der Sartresche Begriff absoluter Verantwortlichkeit einen Sinn. Analoges gilt für die Verbindlichkeit von Entscheidungen: Sie ist subjektiv fundiert, gilt als solche absolut, differenziert sich von ihrer Form her aber dahingehend aus, dass gesellschaftliche, nicht auf das Individuum allein zurückführbare Prozesse dafür sorgen, dass diese Verbindlichkeit ausdifferenziert, verteilt, quantifiziert, operationalisiert wird.
Völlig verfehlt wäre es allerdings, nun so zu tun, als könne auf der Basis dieses Begriffes von Form zur materialistischen Tagesordnung übergegangen werden. Denn die Form, jede Form, ist und bleibt Denkbestimmung – also auch und gerade das Kapital als deren ‚höchste’ Form. 22 Der ‚Sprung’ in den Materialismus erweist sich damit als nicht nur überflüssig, sondern setzt sich auch dem Verdacht aus, dass ihm dasselbe Motiv zugrunde liegt, das all derartige Verschiebungen des subjektiv Besonderen in ein objektiv Allgemeines kennzeichnet: die Angst vor der Freiheit. Der Mensch mag von Sartre, da ontologisch, unzureichend bestimmt worden sein: Aber er, der Mensch, als einzelner, existiert; das Kapital hingegen so wenig wie – oder so ‚wirklich’ wie für den Gläubigen – Gott. Von einem Materialismus könnte somit in Bezug auf den Marxismus erst gesprochen werden, wenn er den Sartreschen Freiheitsbegriff, reduziert um dessen ontologische Komponente, als ein Konstitutivum, als eine der Bedingungen der Möglichkeit, Materialist überhaupt sein zu können, akzeptiert hat.
Existenz als reine Form, ohne jeden Inhalt, also kann zwar transzendentallogisch gedacht werden, aber nicht wirklich ‚existieren’. Dennoch ist die Wirklichkeit nicht anders beschreibbar, als existiere dieses Kapital ebenso absolut wie ein monotheistischer Gott – in trinitarischer Form, wie mit Hegel und Marx hier hinzuzufügen wäre, aber dazu nun gar, im Geld-, Arbeitskraft-, Ideenkapital, empirisch-konkret. Daraus, aus dieser Verdopplung in reine Form und empirische Gegebenheit gleichzeitig, als ein Eines, begründet sich letztlich die Überlegenheit des Kapitals über alle anderen Formen der Synthesis menschlicher Individuen zu einem Ganzen. Wie allerdings schon im monotheistischen Gott, so setzen die Subjekte auch das Kapital als das ihnen allen Allgemeine in objektive Existenz, womit sie nichts anderes tun als in den leer gewordenen Götterhimmel die alles umfassende Einheit all dessen zu projizieren, was sie zuvor im Tausch als das darin sich – als Identität an und für sich selbst – konstituierende Dritte zum einen, und als Geld zum anderen, empirisch und real vergegenständlicht haben. Diese Einheit kann man auch Geist nennen oder, wie Heidegger, Sein. An der Sache ändert das nichts. Und natürlich gibt es auch weniger ‚bombastische’ Ausdrücke dafür: Weltmarkt, Nation usw. oder reaktionär verstiegene wie das Volk oder die Kultur. Das Es des Subjekts erkennt jedenfalls im Geld sein Ich, es ›weiß‹, da es laut Freud in Zeitlosigkeit existiert, über die ›Natur‹ des Geldes – und die Natur seines Ich: Einheit und Differenz in Einem zu sein – mehr als sein bewußtes Ich, denn das denkt sich und die Welt aus verstandesbedingter Notwendigkeit linear, und so ‚weiß’ das Es vom Geld auch mehr als jeder Volkswirtschaftler. Damit schließt sich eines der zentralen Probleme der Neuen Marx-Lektüre auf, nämlich das, inwiefern ein tatsächlicher Vorgang, das in Geltung-Setzen eines Objektiven vom Subjekt, dem sich selbst bewußten Ich verborgen bleiben kann. 23 So sehr also im Ich selbst schon, in seinem Es, die libidinöse Besetzung nicht nur der Objekte im allgemeinen, sondern von Geld und Kapital in ganz besonderer Weise angelegt ist, so wenig kann diese Identifikation allein aus dieser inneren Bindung heraus begriffen werden. Die äußere tritt hinzu: denn die Gesellschaft ‚belohnt’ mit der Anerkennung des Subjekts Dreh- und Angelpunkt des Ganzen zu sein, oder zumindest als Staatsbürger und Warenkonsument überleben zu dürfen und seine Existenzangst bändigen zu können, die Verschiebung in die objektive Form, die Metamorphose des Subjekts vom Produzent aller Formen in die Unterwerfung unter ganz bestimmte, nämlich objektivierte Formen.
Man muss Sartres Negation aller Transzendentalien, also gerade und erst recht die der (absoluten) Form, zunächst bitter ernst nehmen. In ihnen sieht er, alles andere als zu Unrecht, die Ursache allen Übels, besonders die des Nationalsozialismus wie die des Antisemitismus. Was dann, auf den zweiten Blick, aber doch anders gefasst werden muss, um der zur Debatte stehenden Problematik gerecht werden zu können, ist der Begriff der Negation und darin der Begriff der Kritik. Denn es reicht aufgrund des hier Ausgeführten nicht aus, ‚nur’ die Negation von Freiheit zu negieren – auch die Grundlagen von Objektivität müssen zum Gegenstand der Kritik werden; was nur gelingen kann, wenn deren Konstitution und innere Logik begriffen (was hier heißt: denunziert) worden ist.
Konstitutiv für diese objektive Form sind keine Transzendentalien, wie Sartre sie versteht, sondern vielmehr umgekehrt: Die für die bürgerliche Gesellschaft zentralen Kategorien Vernunft, Wissenschaftlichkeit, gesellschaftliche Freiheit und Gleichheit, Staat, Recht und Politik – bis hin zu den Kategorien der (staatlichen) Macht, der Kultur wie der Ethik und des Ich-Bewusstseins – beziehen ihre besondere Form aus dieser sich im Äquivalententausch generierenden allgemeinen Objektivität und gestalten von dort aus die Existenz der Subjekte, von dort aus ihre Form, Freiheit zu negieren – wohlgemerkt, nicht die Freiheit ‚als solche’. Indem die Objektivität sich derartig in den Subjekten verankert, machen diese sich in sich selbst zu Objekten; nicht masochistisch für andere Subjekte, wie Sartre ausführt, sondern – in historisch spezifischer Erfüllung des Lust- also: (psychologischen, relativen) Realitätsprinzips – für das Kapital. Sie werden selbst Momente seiner Objektivität – was sich sprachlich darin ausdrückt, dass, wenn von diesen Menschen in dieser Gesellschaft die Rede ist, allein noch über deren Subjektivität gesprochen wird: Mensch und Natur sind damit unter die gleiche Form gebracht, der Unterschied zwischen Mensch und Natur reduziert sich auf einen bloß perspektivischen.
Form und Nichtidentität
Um dies, diese Formierung der Subjekte zur Subjektivität zum Gegenstand der Kritik werden lassen zu können, ist auf den Begriff des Nichtidentischen zurückzugreifen – Sartre trägt hier nichts bei. Dies allerdings in einer Weise, wie es auch bei bekennenden Adorniten nur höchst selten geschieht. Von diesen wird das Nichtidentische entweder als bloße Negation von Identität verstanden, als das Verschiedene (an und für sich), und so im Grunde auf die Gleichursprünglichkeit von Identität – die es im Grunde nicht gibt, denn schließlich gilt ja auch das Diktum: „Identität ist Tod“ – und Differenz zurückgeführt. Oder, hegelsch, noch gründlicher die Sache verfehlend, als Negation von Negation: als (potentiell) Neues konstituierende Positivität also. All das hieße, Adorno so zu verstehen, als hole er im Nichtidentischen eine Systematik in seine Gedanken wieder ein, die er ansonsten – im Nichtidentischen fokussiert – strikt ablehnt. Seine zentrale Bedeutung – in einer Gesellschaft, in deren Objektivität jede Differenz von Subjekt und Objekt sich in Nichts, in Sinn- und Bedeutungslosigkeit, zu verflüchtigen droht – erhält dieser Begriff nur, soweit sich in ihm die Negation dieser objektiven Formen zum Gegenstand möglicher (unreglementierter) Erfahrung machen lässt.
Was daraus folgt, und was dies mit dem Unterschied des Begriffs vom Subjekt zwischen Adorno und Sartre zu tun hat, kann am besten im Rückgriff auf Adornos Auffassung vom – gelungenen – Kunstwerk deutlich gemacht werden. 24 Die erste Bedingung, die ein Kunstwerk zu erfüllen hat, ist, dass es seine Tradition zum Ausdruck bringt. Das heißt, dass es die Gesamtheit all der Negationen, die vorangegangene Werke an ihren Vorgängern geübt haben, negiert hat. Indem es sich dermaßen (in diesem intrinsischen Sinne durchaus als so etwas wie die Negation der Negation) darstellt, provoziert es, meint Adorno, aus sich selbst heraus 25 darauf, in dieser Einheit einer erneuten (wenn auch nicht zu erwartenden, nicht zu antizipierenden, unreglementierten) Negation unterzogen zu werden. Allein dieser letzte Schritt vermag es, dem Subjekt vorzuführen, dass auch das im Kunstwerk sich darstellende, für sich selbst stehende Absolute (des einzelnen Werks) der Negation dennoch zugänglich ist – natürlich nicht in einer regressiven Weise, nicht einer also, die auf frühere Fassungen zurückgeht, sondern einer, die angetreten ist, die Form selbst (einer Form, die alle ihr bisher möglichen Inhalte sedimentiert enthält) noch einmal – was letztlich nur heißen kann: praktisch – zu überwinden. Das Nichtidentische zielt auf nichts anderes als auf diese letztmögliche Negation der, sei es ansonsten noch so absoluten, noch so totalen Form. Es macht sich die allgemeinst mögliche, aktuell für absolut gehaltene Form (die Form aller Formen) zum Gegenstand.
So sehr Adorno den „Vorrang des Objekts“ betont und – weil seinem Begriff der Form inhärent – betonen muss, so sehr er von den Intentionen eines Künstlers verlangt, sie allein in den Dienst des Werkes zu stellen – so sehr er, kurz und allgemein gesagt, es ablehnt, den subjektiven Absichten bei der Beurteilung eines Werkes mehr als eine marginale Bedeutung zuzuschreiben, so angewiesen bleibt die Nichtidentität darauf, dass es Subjekte gibt, Individuen (seien es Künstler oder Philosophen oder sonstige Produzenten von irgendetwas, oder seien es auch nur die, die ein Kunstwerk ‚genießen’), die ihr Leben in den Dienst eines Werkes, das auf das Nichtidentische zielt, stellen, sich für es ‚engagieren’. Ohne ein derartiges, Partei ergreifendes, leidenschaftliches Engagement wäre der Begriff der Nichtidentität ohne Inhalt, bliebe er ohne Erfahrungsmöglichkeit.
Was Sartre vor allem vom Literaten einfordert: die Negation der situationsbedingten Negation von Freiheit (denn der Literat hat sich die Ausübung seiner Freiheit zum Beruf erwählt), dasselbe fordert Adorno vom Künstler jeder Couleur – wenn auch nicht in Bezug auf die Situation, sondern im Hinblick auf die Form. Das aber ist, auf dieser Ebene, der einzige Unterschied: 26 Denn dass das Nichtidentische ohne die Freiheit der gedanklichen Reflexion im Sinne Sartres keine Grundlage hätte, gar nicht denkbar wäre, ist logisch unhintergehbar. Weil dem so ist, unterliegt das Subjekt, das sich trotz Kenntnis der Sache (der, dass die Form keine Eigenschaft der Dinge ist, sondern von ihm in die Dinge hineingelegt wird) einer vorgegebenen Form einpasst, ohne auf das Nichtidentische zu provozieren, einer Kritik, die in gleicher Weise auch Sartre an dem Literaten formuliert, der die von ihm selbst in Anspruch genommene Freiheit verrät. Diese als Bedingung der Möglichkeit von Nichtidentität zu begreifende, darauf beschränkte Freiheit kann man somit durchaus als positive Bestimmung der Bedingung der Möglichkeit von Kritik begreifen, ohne damit zugleich Gefahr zu laufen, das Subjekt mit dieser Bestimmung zu verdinglichen, es der Subjektivität auszuliefern.
Damit kann die Aufgabe der Kritik im Sinne Sartres wie Adornos bestimmt werden: Ideologiekritik kann nichts anderes heißen, als den Subjekten vorzuführen, wie sie in dem, was sie tun, die Formen (so Adorno) und die Situationen (so Sartre) konstituieren, die im Hinblick darauf zu überwinden wären, dass weder die Form noch die Situation es erzwingen darf, nicht ein ‚Nein’ zu dieser Anpassung des Inhalts an eine Form erwägen zu können, um darin den Versuch zu wagen, eine neue Form zu ermöglichen; eine, die ohne Unterwerfung auskommt.
Oder anders, vom zentralen Unterschied zwischen Sartre und Adorno aus formuliert: Auf der Grundlage von Adornos (und selbstredend dem Marxschen) Formbegriff lässt sich über die politökonomische Wirklichkeit sehr viel mehr aussagen, lässt diese sich konsistenter, klarer, einfacher und wirklichkeitsadäquater erfassen als mit Sartre. Mit Letzterem aber lässt sich über das Subjekt und seine Verantwortung für die Existenz dieser Formen, also letztlich die des Kapitals – indem es erkennt, dass letztlich dennoch es es ist, das den kapitalistischen, transzendentallogischen Formbegriff erst in Geltung setzt – mehr aussagen als mit Adorno. In der Übersetzung des einen zum anderen klafft durchaus eine Lücke: Adorno rechnet damit (oder hofft darauf), dass das Subjekt aus sich selbst heraus eine Dynamik zur Negation der objektiven Form entwickelt; er misstraut jedem Versuch, es dahingehend anzuleiten, sieht darin eine Bevormundung, die diese Eigendynamik kontaminiert. Sartre ist zwar, anders als Adorno es ihm unterstellt, weit davon entfernt, dem Subjekt so etwas wie eine ‚Anleitung zur Freiheit’ vorzugeben, die für Sartre von vornherein ein Widerspruch in sich selbst wäre, aber er begründet doch die Möglichkeit, Freiheit überhaupt ‚wollen’ 27 zu können, nicht nur anthropologisch, sondern, wie gezeigt, gar ontologisch. Die Kritische Theorie kann einen derartig begründeten ‚Willen’ völlig zu Recht weder als anthropologisch noch als ontologisch konstituierten akzeptieren. 28 Aber in Sartres manifest vorgetragener Forderung nach einem Engagement für das Ausleben dieser Freiheit, die ja jede Ontologie und Anthropologie zumindest wieder relativiert – denn für die Herstellung eines sowieso schon existierenden gesellschaftlichen Zustandes sich erst noch zu engagieren, ist absurd – trifft sich das in der kritischen Theorie Adornos latent indizierte Einlassen auf die Sache selbst mit diesem ‚Willen’ offensichtlich.
So wenig die Form Eigenschaft eines Objekts sein kann, so wenig aber kann man wie Sartre in der Verschiebung, die dank des Denkens in Formen vom Subjekt in das Objekt zweifellos stattfindet, von vornherein davon sprechen, dass es sich bei ihr immer um eine Unaufrichtigkeit, eine Lüge gar handele. Sie ist für das Leben des Menschen, seit dem Beginn der Neuzeit spätestens, notwendig. Ohne diese Verschiebung seines Besonderen in ein Allgemeines in der Form könnte das Subjekt seine Welt nicht begreifen, Glück und Versöhnung, in einem Überindividuellen fixiert, wären nicht nur zum Scheitern verurteilt – dieses Scheitern setzt immer eine Erfahrung voraus, eine Praxis –, sondern prinzipiell logisch gar nicht erst zu denken. Vieles, wenn nicht alles, spricht dafür, da hingegen wäre Sartre zuzustimmen, dass diese Verschiebung zwar nicht unbedingt willentlich, aber doch bewusst (oder im Freudschen Sinne: vorbewusst, das heißt dem Bewusstsein zugänglich 29), also im Bewusstsein der Freiheit zu dieser Verschiebung und Verantwortlichkeit für sie vollzogen wird. Ist dem anders, dann hat Kritik keinerlei Basis, von der aus sie die existierenden Formen als verkehrte, als falsche denunzieren könnte.
VI. Kategorischer Imperativ und substantiierter Leib
Das Geld ist seiner innersten Bestimmung in der bürgerlichen Gesellschaft gemäß der empirische Träger einer reinen, total-allgemeinen Form des Kapitals, dessen (synthetische) Einheit sich auf Inhalte bezieht, die genetisch einander strikt entgegengesetzt sind: einerseits auf einen Inhalt, der von den dinglichen Objekten der ersten äußeren Natur, andererseits auf einen, der von der Libido der Subjekte konstituiert ist. Die Verschiedenheit der Inhalte ist Ausdruck der unterschiedlichen Begriffslogik, der diese Inhalte folgen. Den (auf eine erste Natur zurückführbaren) Dingen kann Identität ohne eine Berücksichtigung ihrer inneren Differenz zugeschrieben werden. Im Gegensatz dazu generieren die Subjekte diese und ihre Identität aus der Erfahrung von Differenz. Das Geld gibt somit die Form vor, in der das bürgerliche Subjekt die ihm unmöglich zu denkende Synthesis entgegengesetzter Inhalte ‚auf den Begriff’ bringt. Dazu abstrahiert es von aller Form-Inhalt-Dialektik und fasst Synthesis rein funktional-analytisch. Identität wird demgemäß als beliebige Einheit an und für sich begriffen, in der ein x-beliebiger Input einem (in der Praxis experimentell zu verifizierenden, also relativ) notwendigen Output entspricht. Gesellschaftliche Konstitution und Objektivität sind in dieser Form identisch, sie entsprechen dem existentialontologischen Begriff vom Sein.
Das auf sich selbst reflektierende Subjekt, seine Moralität, wird für diesen Funktionalismus zum letzten Störfaktor seiner totalen Geltung, denn es fragt, solange es der Selbstreflexion fähig bleibt (was keineswegs gesichert ist) 30, nach der Substanz – eingefasst in die Frage nach dem Sinn, der Wahrheit, der Vernunft der ganzen Veranstaltung. Der Funktionalismus (ob als wissenschaftlicher Positivismus, als Heideggersche Existentialontologie oder beides schlüssig zusammenfassend als Poststrukturalismus) tritt dementsprechend an, dem Subjekt nicht nur jede Fähigkeit zur Konstitution von Substanz von vornherein abzusprechen, sondern den Begriff der Substanz und mit ihm das Subjekt selbst in das Geraune eines als substantiell und substanzlos zugleich behaupteten Seins aufzulösen.
Dabei ist die Frage nach der Substanz des Kapitals von Marx längst hinreichend beantwortet worden: Es ist die Abtretung konkreter Lebenszeit 31 seitens des individuellen Subjekts an die reine Form, an das Kapital also. Das Problem dieser Substanzbestimmung ist, dass sie anders als in kapitalistischer, das heißt funktionaler Form nicht verallgemeinerbar ist. Es führt kein vernünftig nachvollziehbarer Weg von der an einen individuellen Leib gebundenen Zeit in verallgemeinerte abstrakte, physikalische Zeit – diese kann nur auf der Basis kapitalistisch konstituierter Objektivität, als „Wertsubstanz“ (aber auf keinen Fall als Wertinhalt, denn der ist rein subjektiv, sondern nur als das Maß des ‚objektiven’ Werts) operationalisiert und in ihrer Bindung an konkrete Arbeit nur illustriert, nicht abgeleitet werden.
Die Grundlage der Marxschen Substanzbestimmung ist, dass der Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft zwar alle Merkmale auch des Gebrauchswertes hat, der jeden anderen (eindeutig identifizierbaren, dinglichen) Gegenstand erst zur Ware macht, zum Beispiel die aus Rohstoffen gewonnene Energie, sie aber, ihrer ‚ersten Natur’ nach, anders als alle anderen, (objektiven) Wert schafft. Diese als Arbeitskraft erscheinende Fähigkeit zur Wert- und damit Reichtumsproduktion – und darauf ruht die gesamte Kritik der politischen Ökonomie von Marx – ist einerseits ebenso bestimmt wie aller Gebrauchswert und als solcher gibt er einer Form ihren Inhalt; und als von einem Subjekt in einen Gegenstand hineingelegte Subjektivität (als libidinöse Besetzung, als Identifikation mit ‚seiner’ Arbeit) hat er mit Substanz nichts zu tun, fällt er in die Kontingenz alles Subjektiven. Aber dieser Gegenstand (die verausgabte Arbeit) geht von einem Subjekt aus. Als solches, als aus der Sicht des Kapitals nur negativ zu fassender, möglichst zu verschwinden habender, gegen Null gehender Restbestand menschlicher Existenz bildet es dennoch die Substanz des Werts (eine andere kann es für den Wert nicht geben) und auf diese Weise hat Marx (in den Worten Sartres gefasst) objektiv erscheinende Formen (und hier die, in denen die Substanz von Objektivität erscheint) in der Bedingung ihrer Möglichkeit an die Subjekte zurückgebunden.
Davon, dass es Substanz des Werts ist, weiß das Subjekt nichts. Es kann davon nichts wissen, kann sich dieses Wissen höchstens abstrakt aneignen – landet dann aber meist in dem allseits bekannten Größenwahn, positiv aus sich heraus der Erzeuger der Welt, all ihrer Wahrheit zu sein. Seine Wahrheit – und die Frage nach der Substanz ist immer mit der Frage nach Wahrheit identisch – ist nur doppelt negativ der Erfahrung zugänglich: inhaltlich als Ausbeutung und Grundlage von Herrschaft, formal als der Rest, der übrig bleibt, wenn man die Frage, wie sich diese Substanz (positiv darstellbar) in dieser Gesellschaft (verkehrt) organisiert, beantwortet. Als dieser ‚Rest’ ist die Substanz des Kapitals wiederum mit Adornos Nichtidentischem identisch.
Will man den Grundfehler des Arbeiterbewegungsmarxismus, also die Verwandlung der negativ bestimmten Substanz des Kapitals in eine positiv bestimmte verhindern und gleichzeitig dem Funktionalismus etwas entgegensetzen, dann kann auf eine positive Substanzbestimmung zwar nicht verzichtet werden, man muss sie aber anders begründen als der linke sogenannte Materialismus. Die Existenz des Kapitals beweist, dass es eine vernünftig begründete, aus was auch immer positiv ableitbare Substanz real nicht gibt, 32 was heißt: Sie muss praktisch-bewusst konstituiert werden. Diese Konstitution, wenn sie denn nicht als utopische Konstruktion die Sache selbst verfehlen will, muss sich auf Realität stützen können. Nach allem, was hier diskutiert worden ist, bietet sich dazu der individuierte Leib als die real-naturhafte Grenze des Übergangs von Subjekt in Objekt, Nichtidentität in Identität (und umgekehrt) an. Gesellschaftlich verallgemeinerbar ist diese Grundlage der Substanzbestimmung, wie immer wieder betont werden muss, allerdings positiv nicht aus sich selbst, 33 sondern nur als kategorischer Imperativ. 34 Gesellschaftlich wäre also mit diesem Imperativ die Nicht-Verletzung des Leibes – in seiner Eigenschaft Naturding, Menschlich-Sein und einzig möglicher empirischer Träger von Freiheit zugleich zu sein – zu garantieren und darin die Imperative von Marx und Adorno einzuholen; es wären also Zustände zu schaffen, welche sowohl alle Ausbeutung dieses Leibes – seine Zurichtung in die Form einer Ware – und zugleich die Wiederholung von Auschwitz verunmöglichen.
Es sollte sich von selbst verstehen, dass es nicht darum gehen kann, nur die Ausführung der Tat (die Verletzung des Leibes) zu verhindern, sondern die Verunmöglichung schon der Drohung mit der Tat das alles Entscheidende ist. Solange die Drohung besteht, dass ohne den Verkauf seiner Arbeitskraft oder ohne Loyalität zu einem Allgemeinen (sei es der Staat oder eine Religion oder sonst ein Gebilde wie etwa die Familie) der eigene Leib nicht geschützt ist, ist er einer Verletzlichkeit preisgegeben, die von Natur aus nicht nur unnötig ist, sondern die Angst vor dessen Verletzung auch Möglichkeitsbedingung von Ausbeutung und Herrschaft bleibt. 35
An Sartre kann somit zurecht kritisiert werden, dass er einen, wenn auch ‚nur’ an einen kategorischen Imperativ zu bindenden Begriff von Vernunft nicht kennt, nicht dagegen, dass er Vernunft nicht den Subjekten und ihrer Freiheit transzendental vorordnet – denn das liefe immer auch auf eine die totale (Reflexions) Freiheit negierende Verordnung hinaus.
Die Kritik hat alle Umstände zu denunzieren, welche die freie Gestaltung der inneren Dialektik von Inhalt und Form durch die leiblich differenzierten Individuen mit dem Verweis auf transzendentale oder ontologische Vorgaben ausschalten wollen. Wie sie dies in Angriff nimmt, muss sich aus der Sache selbst ergeben, die Kritik kann hier nur den Vorgaben der jeweils vorherrschenden, auf einen Durchschnitt hin ausgerichteten Praxis folgen, die sie leidenschaftlich, das heißt engagiert Partei nehmend, zu kritisieren hat. So viel jedoch kann immerhin als ihre Wahrheit festgehalten werden: Wer Sartres Begriff von Freiheit von Grund auf für unmöglich erklärt, negiert in logischer Konsequenz auch die Möglichkeit einer freien Assoziation der Produzenten, also die Möglichkeit der Freiheit zum – und vor allem: im – Kommunismus.
Anmerkungen:
Die Versuche, das bürgerliche Recht aus der (menschlichen) Natur herzuleiten, mussten somit scheitern: Die Natur ist, was ihre Substanz betrifft, ebenso unerkennbar wie die göttliche; wer auf sie das Recht bezieht, hat auf Sand gebaut. Der Rechtspositivismus vermeidet diesen Fehler zwar, ist aber ständig dem Druck ausgesetzt, sich inhaltlich zu legitimieren.
↩
Ohne dies hier ausführen zu können, sei doch zumindest darauf verwiesen, dass die katholische Fassung von Einheit und Differenz, als Trinität in Gott dogmatisch fixiert (was die entscheidende Besonderheit dieser Kirche gegenüber allen anderen darstellt), ein Denken erst ermöglicht hat, das die Ontologie transzendentallogisch überschreiten kann. Auch der Protestant Hegel ist sich dessen, wie viel seine Dialektik diesem Trinitätsdogma verdankt, sehr bewusst.
↩
Wie Heidegger in die Postmoderne zu übersetzen ist, dafür hat Foucault das der Form nach allgemeingültige Beispiel für all seine Nachfolger geliefert: Man formuliere eine allgemeine Kategorie, bei ihm die Macht, erkläre, sie sei überall, zeige sich aber nur in einzelnen Erscheinungen (Gefängnis, Individuum, wo auch immer), man könne grundsätzlich aber nicht sagen, was diese Kategorie bestimmt – sie sei jedenfalls eines nicht: substantiell. Das Rätsel, wie etwas seinem Allgemeinen nach nur nominell, seinen Erscheinungen nach aber höchst real sich darstellen kann, wird nicht gelöst, darf auch nicht aufgelöst werden, weil ja das ständige Umkreisen dieses ‚Geheimnisses’ das innere Konstruktionsprinzip der ganzen Sache ausmacht.
↩
Das meint die Erkenntnis der Kritischen Theorie, dass jeder Gebrauchswert längst die Form des Tauschwerts angenommen habe, weswegen jede Revolutionstheorie, wie jede Krise auch, zum konstitutiven Moment des Kapitals degeneriert ist.
↩
Die Frage, wie es möglich ist, dass Formen dingliche Natur annehmen, hat Marx eben nicht wirklich behandelt, so sehr eine Vielzahl von Marxisten das auch behauptet. Ihm ging es, wie gesagt, um die Auflösung der Mystifikation, dass trotz Äquivalententauschs Mehrwert produziert wird. Im Fetischkapitel, das ja, was oft übersehen wird, den Abschluss seiner Analyse des Geldes (und nicht des Kapitals!) bildet, wird zwar polemisch dargestellt, was für irrwitzige Kapriolen ein Denken vollzieht, das die Relation von Subjekten in einem Absoluten fixiert, aber nicht, was in dem Subjekt selbst diese Kapriolen erst ermöglicht – das war einfach nicht sein Thema.
↩
In diesem in der Beziehung zwischen den Tauschenden sich konstituierenden Denk-Raum entsteht eine von allen Beteiligten als absolut mit sich selbst identisch zu denkende Form, anders etwa als bei den Formen der Wahrnehmung: Hier sieht zwar jeder dasselbe Bild, jeder hört zwar denselben Ton, im Verstand aber bekommt jedes Bild, jeder Ton einen subjektiv gefärbten Inhalt. Die in diesem ‚Raum’ im Tausch sich konstituierende Identität als solche ist hingegen für jedes Subjekt in jeder Hinsicht immer genau dieselbe. Sie ist das, was Kant dann – also erst unter vollständig ausgebildeten kapitalistischen Verhältnissen, was die subjektiven Bedingungen der Möglichkeit objektiver Kapitalentfesselung (Stichwort: Industrialisierung) betrifft – als Transzendentalsubjekt identifizieren kann.
↩
Erst von hier aus lässt sich der Begriff der ‚objektiven’ Form als eine eigenständig, außerhalb des Subjekts konstituierte (als eine seiner möglichen Denkformen im Subjekt natürlich fixiert bleibende Form) logisch bestimmen. Erst ab jetzt können die Anführungszeichen begründet weggelassen werden. Ohne den von Sohn-Rethel erbrachten Beweis einer Überschreitung der Form in eine übersubjektive Realität im Äquivalententausch wäre der Begriff ‚objektive Gedankenform’ nur eine Transzendentalie im Sinne Sartres – also eine nicht wahrheitsfähige Verallgemeinerung, wäre er Ausdruck, zumindest, einer Unaufrichtigkeit.
So verbreitet die Vorstellung ist, Freuds Lehre vom Unbewussten schränke die Verantwortlichkeit des Ich für sein Denken und Handeln zumindest ein, so wenig kann sie sich aber auf Freud wirklich berufen. Freud geht an diese Verantwortung natürlich ganz anders heran als Sartre, aber er beschäftigte sich sein Leben lang mit dem doch von keinem zu leugnenden Problem, dass das Ich, auch dann, wenn objektiv dazu gar kein Grund zu bestehen scheint, ungeheure Schuldkomplexe entwickelt. Über das dazu schon Ausgeführte hinausgehend kann hier festgestellt werden: Das Subjekt weiß, dass es, im Sinne Sartres, verantwortlich ist, aber nicht, warum, nicht, worin. Dies ‚weiß’ nur sein Unbewusstes. Freud wie Sartre, der eine aus therapeutischen, der andere aus politischen Gründen, ist gleichermaßen darum zu tun, dieses ‚Wissen’ ins Bewusstsein zu heben. Über beide hinausgehend könnte die Ideologiekritik noch ergänzen, dass es in diesem Bewusstwerden darum gehen muss, dem Subjekt den Ausweg zu verbauen, seine Verantwortlichkeit mit dem Hinweis darauf, objektiv – also im Sinne des Satzes der Identität als (verkehrtem) Realitätsprinzip – sei man ja ‚erwiesenermaßen’ schuldlos, zu verleugnen.
↩
Gerade die, die vom Bösen fasziniert sind, die darauf provozieren, von anderen als böse identifiziert zu werden, wollen nichts anderes als dokumentieren, dass ihre Moral über der der ‚Normalbürger’ steht. Sie sind so gut, dass sie im Interesse der ‚höheren’ Moral (also des besseren Gut-Seins) sogar das Böse-Sein auf sich zu nehmen bereit sind. Als beispielhaft für die Analyse einer derartigen Moral kann die Arbeit Sartres über Baudelaire angeführt werden. Für diejenigen, die das Böse, wie auch Flaubert und dann, wäre hinzuzufügen, ganz besonders Nietzsche, ins Ästhetische übersetzen, ist „das radikale Böse nur eine ethische Bezeichnung jener anderen absoluten Norm, der Schönheit“. (Der Idiot der Familie, vierter Teil, S. 23).
↩
Sartre übersieht, dass das Moralisieren heute dermaßen zum gedankenlosen, praktisch vollkommen irrelevanten Volkssport geworden ist, dass jeder Appell, so ernst er auch gemeint sein mag, in absoluter Unverbindlichkeit verpufft.
↩
Repräsentiert werde, so glaubt man, diese ‚Gerechtigkeit’ in Produktions- statt in Marktpreisen. Logisch landet man so in der Plan- anstelle der Marktwirtschaft. Mit den notwendigen Folgen: Eine Kapitalreproduktion findet nicht mehr statt, und man wundert sich irgendwann, warum der gesellschaftliche (warenförmige) Reichtum abnimmt statt, wie der gemeine Verstand sich so denkt, schneller als über den in ihren Augen unnötigen ‚Umweg’ über die Konkurrenz der Märkte, zuzunehmen.
↩
Ausgenommen werden müssen natürlich die Ethiken, die dem Kapital neue Betätigungsfelder erschließen: Klimaschutz, erneuerbare Energien usw., also die A-post-Ethiken in der Nachfolge des Protestantismus.
↩
Diese Proportionalität zu betonen wurde Nietzsche nicht müde. In der Tat: Je weniger das Subjekt andere Subjekte als vom Bösen besessen identifiziert, umso besser ist es um die allgemeine Moral bestellt. Oder: Je weniger Ethik, umso weniger Gründe, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Die vom Kapital in seinem Staat und in den Konkurrenzverhältnissen nur aufgehobenen, aber alles andere als erledigten Gewaltpotentiale bleiben davon natürlich unberührt.
↩
Der angelsächsische Utilitarismus, etwa in der Fassung eines John Stuart Mills, der diesem Verhältnis von Kapital und Ethik noch am nächsten kam, ist mittlerweile dermaßen marginalisiert, beziehungsweise als Egoismus perhorresziert, dass heutzutage kaum noch ein Ethiker sich traut, dessen Position offensiv zu vertreten. Im Grunde, aus moralischer Sicht, gibt es heute nur noch Kapitalismuskritiker, egal ob rechte oder linke (nicht zuletzt dank Barack Obama selbst in den USA), was ein weiteres Indiz dafür ist, dass die Subjekte zwar ausschließlich vom Kapital leben und dies auch so wollen, aber sich um die Konsequenzen daraus, um ihre Verantwortung dafür, herumdrücken. Kurz und knapp: Die Bürger verstehen ihren eigenen Laden nicht und wollen ihn auch nicht begreifen, denn sonst müssten sie zur Kritik übergehen.
↩
Mit Moral können wir heute nicht mehr anfangen, als sie in unserem unmittelbaren persönlichen Umfeld möglichst pragmatisch in Anschlag zu bringen. Jede Verallgemeinerung darüber hinaus würde uns zu Moralisten machen, denen die wirkliche Welt entgleitet, vorsichtig ausgedrückt. Politisch nimmt der Moralist jedenfalls die Charaktermaske desjenigen an, der alles Ungemach dieser Welt darauf zurückführt, irgendwelchen moralischen Prinzipien untreu geworden zu sein, sie ‚verraten’ zu haben, Prinzipien, die in der Realität kapitalistischer ‚Normalität’ ohne jede Relevanz sind.
↩
Der Autor dieser Zeilen spricht an dieser Stelle bewusst nicht allgemein von der Kritischen Theorie, denn so sehr er sich dieser auch zurechnet, deren Souveränitätsbegriff erachtet er, nimmt man die bisherigen Veröffentlichungen der Initiative Sozialistisches Forum und Gerhard Scheits aus, als bisher allzu unterbestimmt, seine Füllung als eines ihrer größten Desiderata.
↩
Theodor W. Adorno, Engagement, in: AGS 11 (Noten zur Literatur), Frankfurt/M. 1997, S. 415.
↩
Besonders in den Überlegungen zur Judenfrage (S. 55), wo es ihm darum geht zu zeigen, wie es in Kafkas Prozess einem Subjekt ergeht, das sich in eine Situation gestellt sieht, in der es ihm verwehrt ist, selbst in sie einzugreifen: Es fehlt ihm damit jede Möglichkeit, sie ‚realistisch’ einzuschätzen.
↩
Auf die er nur allzu gerne einen Ideologiebegriff gründen würde, wovor er aber dann doch zurückschreckt, weil er sieht, wie das ihn jeder Anschlussfähigkeit an den Marxismus berauben würde. Vgl.: „Diese irreale, aber ziemlich streng konstruierte Totalität nennt man Ideologie. Können wir sagen, dass jede Ideologie eine kollektive Neurose ist? Damit würden wir einen erheblichen Missbrauch mit einem strengen Begriff treiben.“ (Der Idiot der Familie, vierter Teil, S. 39) Was ihn im daraufhin Folgenden nicht hindert, diese Kollektivneurose als Grundübel und Ausgangspunkt aller bürgerlichen Ideologien zu denunzieren.
↩
Adorno, Engagement, a.a.O., S.416.
↩
Anders als der der Freiheit, denn die kann in vielfältigster Weise negiert und somit differenziert werden.
↩
So etwa im Unterschied zum Kosmos, der, als Natur an und für sich begriffen, wie auch immer im konkreteren verstanden, als Ding an sich zweifellos existiert – von dem Augenblick an, in dem ein Bewusstsein dem Wort Kosmos den Gedankeninhalt verleiht, der ihm (laut Lexikon etwa) zukommt, und ihn so zu einem Für sich macht. Das Kapital existiert in dieser dinglichen Form nicht, es existiert als Ding an sich nicht und als Ding für sich – wenn man das überhaupt so sagen kann – in der doch äußerst merkwürdigen (im Grunde: unmöglichen) Form, sich auf kein An sich zu beziehen.
↩
Kurz gesagt: die Subjekte haben ihre Entscheidung, die Segnungen, die die Form Kapital ihnen verspricht, genießen zu wollen, in ihr Es verschoben, und fühlen sich, sobald das Es sich in ihrem Ich wieder ‚zurück meldet’, dieser Segen sich aber gar nicht eingestellt hat, von noch gerisseneren Gaunern als ihnen ausgetrickst.
↩
Was heißt: In all seinen philosophischen Abhandlungen ist dieser Unterschied zu Sartre natürlich enthalten, wird dort aber, anders als in seiner Ästhetik, nicht direkt zum Gegenstand der Abhandlung. Als prototypisch kann hier Adornos Aufsatz über Becketts Endspiel angesehen werden. Im Grunde aber ‚kreisen’ alle Schriften zur Ästhetik – handele es sich bei ihnen nun um Werkbetrachtungen, insbesondere zur Musik, oder um philosophische Überlegungen zur Ästhetik – um diesen Sachverhalt, der von hier aus nahezu umstandslos auf alle Erörterungen Adornos zur Gesellschaft ausgeweitet werden kann.
↩
Dies ja versteht er unter Autonomie: nur in ihr, nur also, indem der Künstler sich von allen außerhalb des Kunstwerkes angesiedelten Vorgaben frei macht, wird diese Dynamik der Negation (der Negation) möglich.
↩
In ästhetischer Hinsicht gibt es natürlich einen großen Unterschied: Für Sartre ist undenkbar, dass ein Kunstwerk mehr in sich enthält als das, was das einzelne Subjekt (der Künstler selbst oder der Rezipient) in es hineinlegt, bei Adorno entdeckt der Rezipient den Sinngehalt des Werkes als einen objektiven, als eine ihm ohne dieses Kunstwerk ansonsten nicht zugängliche Erfahrung.
↩
In Parenthese gesetzt, weil es sich bei Sartre gerade nicht um einen Willen im Sinne Schopenhauers beziehungsweise Nietzsches handelt und um einen utilitaristischen oder deontischen erst recht nicht. Sondern es geht um die Freiheit als eine zunächst rein logische Bestimmung, die aber im Engagement mit einem ‚Willen’ versehen wird. Ansonsten wäre Freiheit ‚als solche’ tatsächlich vollkommen bedeutungslos.
↩
Horkheimers Liebäugeln mit Schopenhauer nach der Rückkehr aus der Emigration zeigt zunächst nur an, dass er mit der Frage nach der Freiheit, wie sie die Kritische Theorie behandelt hatte, nicht zufrieden war. Ob Schopenhauer der geeignete Bezugspunkt für eine derartige Selbstkritik ist, steht auf einem anderen Blatt.
↩
Sartres Unterscheidung von thetischem und antithetischem Bewusstsein nimmt im Grunde auch diese Differenzierung von Freud auf und wendet sie philosophisch.
↩
Denn es gibt keine Grenze, ab der es nicht in Subjektivität vollkommen sich aufzulösen bereit ist, um seiner Angst vor der Freiheit ‚endgültig’ Herr zu werden – was heißt, das Leben als Sein zum Tode aufzufassen; denn dort gibt es keine Angst mehr.
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Diese Abtretung geschieht ganz im Sinne Sartrescher Bestimmung von Freiheit: Der Zwang, dies zu tun, kann sich logisch nicht aus dem Kapitalverhältnis selbst herleiten. Im Gegenteil, nur als freie Lohnarbeit hat sie einen Gebrauchswert für das Kapital. Der Zwang ergibt sich aus dem für das Kapital zwar meist ‚günstigen’, aber alles andere als unbedingt notwendigen historischen Umständen, nämlich als Subjekt nur in der Akzeptanz dieser ‚freien’ Lohnarbeit überleben zu können.
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Es bliebe ansonsten völlig unerklärlich, warum das Kapital die lebendige, konkrete Arbeit erst über den Umweg negativer Vermittlung ausbeutet und nicht direkt. (Das ist im Grunde genau die Frage, die Marx an die Adresse der objektiven Wertlehre von Adam Smith und David Ricardo gestellt hatte.)
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Dies missachtete eklatant die Logik, dass sich aus einer Substanz keine Form (und somit auch kein Inhalt) ableiten lässt, also auch eine Form nicht, wie sie jede Gesellschaft benötigt, um sich synthetisieren zu können.
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Aus der Existenz des Leibes allein lässt sich, so wenig wie aus einer „reinen Vernunft“, keine praktische Forderung logisch konsistent ableiten. Dies aber hat dieser Imperativ, wie Kant gezeigt hat, mit allen Existentialien, und Transzendentalien erst recht, gemeinsam. Einzuholen ist auch hier die „Nötigung“, dann, wenn es die Sache verlangt, undialektisch denken zu müssen.
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Die Ächtung der Gewalt gegen den individuellen Leib bleibt, wie gezeigt, im vom Kapital dem Staat übertragenen Gewaltmonopol ‚irgendwo’ auf ‚halbem’ Wege stecken: Es erfasst weder die weiterhin jederzeit mögliche (nicht positiv nachweisbare) Drohung mit Gewalt noch kann sie die Racketbildung (die im Grunde in jedem Unternehmen vom Prinzip her angelegt ist) wirklich wirksam verunmöglichen, von der Erlösung vom Zwang zur Arbeit ganz zu schweigen.
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